Ein Punk im PLUS, zwei Punk...

somalischer Kaffee

Im UhrzeigerSinn

Abends in Leverkusen

Das Tal Nada

Das Nichts

Erinnerungen eines Bürgers

Das Haus im Magischen Zirkel

Zustände wie aufm Schlachthof

Die ästethische Rache des Jürgen A.

Das Gericht im Nichts

Geburtstagserzählung für Martin R. aus D.

Ribbons of Love

Der Schriftsteller - Eine Analyse

It's no Fan, it's a Hooligan

Der Killerinstinkt

Die Frau zum Herr

LiebesKillerInstinkt

Ros(t)ige Zukunft

Ein Festmahl

Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern...

Ein Versuch: Der Brigitte-Preis - oder Bettina von Arnim für Arme

Go Off - Get Inn, Too oder wie ABRUPT eine Reise endet

Bitte nicht eintreten!

Denke ich an Deutschland by nackt

Die Veteranen

IMMER MAL HINEIN, ONKEL OTTO!

IMMER MAL HINEIN, ONKEL OTTO!

Ich schloß die Tür und staunte nicht schlecht. War doch in meinem Schlafzimmer ein Coca-Cola-Getränkestand errichtet worden. Dahinter stand "Onkel Otto", mein Vetter aus Affhausen - ein gelernter Sozialpädagoge.

"Schön.", sagte ich in meinem alten Schlafzimmer hinter einem neuen Tresen stehend, "dann gib mir mal 'ne Cola, Onkel Otto!"

Onkel Otto schank mir ne Cola mit den Worten: "Eins fuffzig." ein. Ich schob ihn eine Münze über die Theke mit den Worten: "Stimmt so!" und er strich sanft das Geld ein und ließ es klingelnd in seiner Cassette verschwinden. Ich dachte einen Augenblick lang, es sei Bücherflohmarkt in meinem Zimmer, aber als ich wieder auf Onkel Ottos grotesken Flaschenstand sah, war ich mir da nicht mehr so sicher.

"Was willst du eigentlich mit diesem Flaschenladen in meinem Schlafzimmer?", fragte ich ihn geradeaus und prompt bekam ich die passende Antwort:

"Ja, weißt du denn nicht, dass hier heute die alljährliche große ICE-Schlafwagenmeesse stattfindet. Warst du denn noch nicht in Halle 6 am Infostand?" - "Ne, da war ich noch nicht.", hörte ich mich selber sagen und wußte auch gar nicht, wo ich in meiner Wohnung Halle 6 überhaupt suchen sollte. Wo anfangen?

"Kein Problem!", hörte ich meinen Vetter Onkel Otto sagen und schwupps klappte er sein Laptop auf, tippte ne Taste und auf dem Display erschien eine virtuelle Wegbeschreibung. "Sag mal, Onkel Otto, was soll dieses ganze Theater eigentlich hier? Hier ist doch keine Messe für ICE-Schlafwagen!" - "Doch, da!" und Onkel Otto deutete mit dem ausgestreckten Mittelfinger auf meine Matraze, die gut und gern ein Viertel meines Schlafraumes einnimmt.

Sie lag auf einer Querverstrebung, die diagonal über zwei Achsen gespannt war. An diesen Achsen waren vier schwere Eisenräder geschraubt. Diese wiederum ruhten auf zwei Eisenträgern. Ruhten ließe sich eigentlich nicht sagen, denn die Waggonräder wurden durch die beweglichen Eisenträger zum rollen gebracht. Des weiteren waren die Eisenträger an eine Federung Moentiert, die mittels fünfunddreißig PS-DieselMoetor zum Schwingen gebracht wurde.

Und meine Matraze war gar nicht mehr zum Ruhen ausgelegt - nein! Ganz ungeniert tobte ein nacktes Pärchen auf meinem Lager. Mit blauen Bahn-AG-Seilen war mein Lager abgegrenzt und jenseits des Seils kreuzten Messebesucher, blieben vor den Seilen stehen, um zu sehen, wie Klaus und Heike während einer simulierten Schlafwagenfahrt täuschend echt bumsten. (Weil die Messe jedoch eine Familienmesse sei, dürfe kein Koitus öffentlich vollzogen werden, klärte mich mein Barkeeper Onkel Otto auf).

Plötzlich schallte es aus der linken oberen Ecke am Fenster meines Schlafzimmers aus einem kleinen weißen Lautsprecher, der mir jetzt erst auffiel:

"Frau Freya Beyer bitte!" und dann eine Pause. Ich wand mich wieder Onkel Otto zu und sah ihn nahe an ein kleines im Tresen integriertes Mikrofon gebeugt, welches er mit seiner linken großen Hand umklammerte, wie den Hals einer Giftschlange. Sein Mund rückte näher an den Abnehmer. Er räusperte sich und startete abermals eine Durchsage:

"Frau Freya Beyer, darf ich Sie an die Bheke titten?!"

 

 

©2ooo, Brian Brain

 

 

DAS TAL NADA

-- ein neumodisches Märchen vom KOSAKEN--

Ausgehöhlte Bäume. Vergilbtes Gras. Schwebender Staub. Elektronische Wellen. Strahlende Energie. Mikrokosmische Kleinigkeiten. Beschreibungen aus dem Tal Nada, von dem noch niemand berichten konnte. Die Entstehung dieses Tals gibt es nicht.

Es ist schon immer dagewesen.

Den Untergang des Tals gibt es nicht. Es wird niemals untergehen.

Anfang und Ende sind Fremdworte in den Ohren der Nadataler. Nein. Sie haben keine Ohren, weil sie keine Ohren brauchen. Obwohl die Nadataler keine Augen haben, weil sie keine brauchen, sehen sie mehr als sonst jemand. Die Nadataler brauchen keine Beine um gehen zu können. Sie haben keine Hände an den Armen. Und Arme haben sie auch nicht, weil sie keine brauchen.

Sie brauchen nicht zu essen und zu trinken um zu leben, darum haben sie auch keinen Mund. Und doch können die Nadataler auch sprechen, flüstern und auch schreien, wenn es sein muss.

Die Nadataler brauchen keine Nase, um zu riechen, um zu atmen. Sie atmen ohne Nase. Das Tal Nada läßt sich nicht suchen und auch nicht finden, und doch ist es nah da.

Es gibt nichts zu tun im Tal Nada, darum gibt es auch keine Arbeitslosigkeit. Es gibt überhaupt keine Arbeit im Tal Nada, weil die Nadataler keine brauchen. Sie brauchen nichts, weil sie nichts haben wollen.

Die Nadataler sind nicht glücklich, aber auch nicht traurig. Darum können die Nadataler auch nicht lachen. Und auch nicht weinen.

Die Nadataler haben keine Namen und auch keinen Personalausweis. Geld haben sie auch nicht, weil die Nadataler nichts kaufen.

Die Nadataler lieben nicht, und hassen tun sie auch nicht. Die Nadataler werden nie böse. Obwohl sie auch nicht gut sind, sind sie nicht böse.

Obwohl es kein Licht im Nadatal gibt, ist es nicht dunkel. Obwohl es keinen Tod im Tal Nada gibt, gibt es kein Leben im Tal Nada. Die Nadataler können nicht sterben. Und leben können sie auch nicht.

Es ist auch nicht langweilig im Tal Nada, weil es keine Zeit gibt. Es gibt kein Schmerz und Leid für die Nadataler. Somit auch keinen Krieg und Streit im Tal Nada. Die Nadataler haben keine Macht. Sie haben keine Sucht. Es gibt keine Sehnsucht, keine Eifersucht, keine Dorgensucht, keine Spielsucht im Tal Nada. Es gibt kein Heimweh und auch kein Fernweh im Nadatal.

Es gibt keinen Lohn und auch keine Strafe im Tal Nada. Die Nadataler brauchen nicht zu büßen, weil sie nichts falsch machen können. Die Nadataler werden nie gelobt, weil sie nichts richtig machen können. Obwohl die Nadataler alles und nichts wissen, brauchen die Nadataler nichts zu lernen.

Die Nadataler hören Musik, die keiner hören kann. Die Musik ist weder laut noch leise.

Im Nadatal gibt es nur Kinder.

Die Nadataler können nur spielen. Du kannst sie spielen sehen, wenn du beide Augen fest zu machst. Sobald du deine Augen öffnest, kannst du sie nicht mehr sehen. Wenn du die Augen verschließt, bekommen die Nadataler plötzlich Beine, mit denen sie laufen, Arme, mit denen sie sich raufen, Augen, durch die sie dich sehen, Ohren, mit denen sie dich verstehen. Einen Mund und eine Nase haben sie dann auch. Kopf, Rücken und einen kleinen Bauch. Sie sind klein und rund oder groß und schlank. Sie sind gesund oder sie sind ganz krank. Sie wollen dann deine Freunde sein. Wenn du an sie denkst, fühlen sie sich nicht allein. Doch wenn du die Augen aufmachst, gehen sie zurück ins Tal Nada und kommen nur dann wieder, wenn du sie leise, mit geschlossenen Augen rufst.

Du mußt so leise rufen, dass nur du dich hörst. Du darfst sie nie fragen, weil sie nie antworten. Du darfst ihnen nichts befehlen, weil sie nie gehorchen. Du darfst ihnen aber was erzählen, weil sie zuhören, obwohl sie ja eigentlich keine Ohren haben, werden sie dich trotzdem verstehen. Du darfst sie nie verspotten, weil sie dann auch nicht kommen, wenn du die Augen schließt. Du darfst sie nie belügen, weil sie die Wahrheit kennen. Du darfst sie nie verraten, weil andere vielleicht nicht glauben, dass es Nadataler gibt. Du darfst sie nicht besuchen im Tal Nada, weil du dann einer von ihnen wirst. Denn die Nadataler können sich nie freuen, auch wenn sie spielen. Sie freuen sich nicht wirklich. Sie spielen, und das sieht dann so aus, als würden sie sich freuen.

Außerdem siehst du das Tal Nada anders als die Nadataler. Vielleicht ist das Tal Nada bunt in deinen Augen, wenn du deine Augen schließt. In Wirklichkeit aber gibt es im Tal Nada keine Farben, weil es kein Licht gibt. Und es gibt keine Farben ohne Licht!

 

©1987, Kosake

RIBBONS OF LOVE

Bright all day long. Fine weather. Children are playing in the park "Doctor Jackyll & Mr Hyde". Doc's barking. The sun's hanging down the river. Millions of creatures taking a deep breath. Shiny. Shiny. Shining. Weather's fine.

Cat's crossing the road. Low-level-music sounds through the village, meanwhile children somewhere can't survive from hunger and suffer.

Girl's rolling skateboard. Boy's doing the same. The air smells peacefully. The space's running down empty. Mothers are crying for their children. Some children coming home immediatly. Some don't. Fathers are running for their children. They kept their children by their hands.

Somewhere deep down the alley in an old menslaughter-house someones are making love tenderly. Meanwhile they're crying for Love the facades clatter.

At menslaughter's house had lived a young family more than twelve years ago. The family it was: Mother Mo (her Christian name was Moniquè, but her nick-name was only Mo or sometimes her husband called her "my sweet, sweet Mona") she was twenty-seven. And her husband Bob, the father. She called him sometimes "my Robo-Hero". Strange, but lovely. However; he was thirty.

Their children were two daughters. Frampy, her right name was Franesca, but they only called her Frampy. She's seven. And Maggy. Only it was her nick-name too, correctly she was called Madgelein. Maggy was five.

At once Mona and Robo had making love in the livingroom, meanwhile their children slept in bed. "Pssst!" she whispered. Meanwhile he kissed her thigh. "Psssssssssssssssssttttt!" she hissed again. He stopped kissing and listened. Then they'd listening together intensivly the noise from neighbourhood.

A young boy was crying with his whole soul. He cried for Help. He cried four, five, six times. Then silence.

Imagined that cry they got up. They went to the window and they had looked out. Outside the alley was empty. Every house from neighbourhood stood peacefully and dark at their sites. Everything?

No, not everything! Only one window was illuminated. It's farmer's house on the other side of the alley. Mo and Bob stood at the window. Then Bob said: "Nothing to see! Let's turn back...," even in the quietest moment when Mo said: "Just wait a moment!", there were shades behind the window-curtains from farmer's house.

With some phantasy you had seen that a big one beats a short one. That thing the big one has, seems like a cricket-rocket!

The short one cried with his whole soul for help. Bob ran to the telephone. Mo cried: "CALL FOR 999!! THE FARMER KILLS HIS SON!!!"

 

When the police came and got in farmer's house, they got out very quickly. They hadn't arrested the mad farmer! A lunatic one! The police came and went away! Without the farmer, without the boy!

Another day Mo, Bob, Frampy and Maggy lied in their warm blood. With steeleyes had been frightining from the last shock. The expression in their dead eyes from saw death face the face.

When the police and Scotland Yard came they shaked their heads from right to left. Some young policemen were immediatly shocked, ill and looked out for the toilet.

There were hands, arms, legs and heads everywhere in the room. On table, on armchairs and on the floor.

You could had read it next day in the local newspapers that a lunatic, mad farmer, father and husband, often he was drunken, killed young family from neighbourhood with unusual violence, after he'd killed his own son and his own wife. The son was eleven. The wife was thirtynine. After he had killed three children and three adults he did suicide.

Since that day farmer's house and the house from neighbourhood local famed as menslaughter's houses. But that's long ago. Now it is 1993 and nothing has changed. And somewhere deep down the alley at home in one of menslaughter's house she's sitting sexy and cries, meanwhile he's pulling and pushing his willi tenderly into her private parts. Suddenly he stops the rythm of love and hisses: "Psst!"

She's listening immediatly. Both together listening intensivly to the noise from the neighbourhood.

 

©2oo3:
Mel Byrne was inspired to write this short novel in the 90ies by music from:

    Jackson Brown ("Running down empty")

    The Rolling Stones ("Sweet Mona")

    The Doors ("Cars hissed by my windows")

    John Ono Lennon ("Imagine")

    The Supertramp ("Even in the quietest moment")

    Pete Townsend ("Face the face")

If you like to start contact Mel, then by mail!

 

Die Veteranen

Waren wir auf einer Privatfete, Frank, Max und ich? Die Orte dieses Traums stiften im Nachhinein eine Menge Verwirrung, fast soviel, wie die Protagonisten, die im Traum einander so vertraut und dennoch ikognito waren, wie sie es im sonstigen Alltag wohl "nie" gewesen wären.

Einer der diversen Handlungsorte war eine Art Disko. Unkommerziell. Fast schon so, wie ein ehemaliges Lagerhaus, das zum Partyraum umgeschminkt worden ward. Wie gesagt, befanden Max, Frank und ich uns dort, tranken, machten Witze und dergleichen.

Wenige Minuten später tauchte Jenny quasi aus dem Nichts auf, grüßte mich wie einen weitentfernten Bekannten. Fasziniert lauschte sie Max Geschichten aus dem Alltag eines Anwalts in Eisenhüttenstadt und drückte ihm plötzlich und unvermittelt einen Kuss auf die Wange. Eins, zwei, drei und schon waren sie eine Art Paar. Gegen meinen Willen, doch ohne meinen Einfluß änderte sich die Szenerie des Traums. Die Protagonisten blieben, wobei ich mir nicht sicher bin, ob nun Jenny und Max abgetaucht waren oder dem Traum gegenwärtig blieben. Vielleicht bildeten sie sozusagen eine Art knutschende Beobachterfraktion.

Frank wurde zum Akteur. Genausoschnell wie die Morphose zweier Singles (Max und Jenny) in ein Paar (Jenny und Max), genausschnell vollzog sich die nächste Überraschung. Kerstin und Frank. Alles klar?! Nichts konnte mich erschüttern. C’est la vive! C’est le rève! Selbst, dass Kerstin im Traum schwerbehindert war, ließ mich nicht in Entsetzen fallen. Dass Kerstin im "echten" Leben mit ihren schönen langen Beinen fest im Leben steht, hieß für den Traum, dass sie sich auf einem Rollbrett oder in einem Rollstuhl fortbewegte. Doch keineswegs hilflos.

Selbstbewußt und, wie mir stets mehr und mehr klar wurde, war das ihre Wohnung und Frank ihr Freund. Und beide stellte sie mir im Traum stolz als ihr Eigen vor. Eigenartigerweise fühlte ich mich keineswegs fremd, weder über die Tatsache Kerstins "Behinderung", noch über die avantgardistisch eingerichtete Dachwohnung, die über dem Partyraum lag und am wenigsten über Frank, der das ganze durch regelmäßige, unbeliebte Arbeit finanzieren durfte. Nur Kerstins Schwermut ließ mich stutzen. Und dieser Schwermut hatte nichts mit ihrer "Behinderung" zu tun, sondern mit ihrer Beziehung, die zu Frank so normal geworden sei, wie sie mit mir nie geworden wäre. Das machte sie mir, ohne es klar auszusprechen, sehr, sehr deutlich.

Die "Wenn" und die "Abers". Gegen meinen Willen änderte sich abermals die Szenerie des Traumes, wiederum ohne meinen Einfluß. Ich befand mich, nur mit meinen beiden Silberkugeln bekleidet auf irgendeiner Straße wieder. Unbelebt. In irgendeinem Dorf, wo die Leute hinter Gardinen lauerten. Vielleicht in Sölde. Vielleicht auch nicht. Unerwarteterweise springt mir eine Kugel aus der Hand. Und rollte in ungewöhnlichen Tempo und mit unstetigen Bewegungen und Sprüngen über einen Zaun in einen verdammten Garten.

Ich folgte der verlorenen Kugel, kletterte über den Maschendrahtzaun ohne mit den Wimpern zu zucken und den Eiern hängen zu bleiben, wollte gerade nach meiner gefundenen Kugel greifen, als ein Veterane mit Schrotflinte aus einem offenen Fenster des Fachwerkhauses auf mich schoß und mich damit warnte, besser zu verschwinden.

"Hey du!", rief der Veterane.

"Wer? Ich?", antwortete ich.

"Ya du! Nackta Nigga! Was machst du in meinem Gaaten!?!"

Ehe ich antworten konnte strahlte die Kugeln in meinen Händen eine Energie aus, die meinen Schwanz anschwellen ließ und ein intensives Gefühl von mir und meiner Bettdecke aufkommen ließ und ich wie wild im Bett nach einem alten Veteranen mit Schrotflinte herumtastete.

Geigen Sie F. K. Kurzhar Ihre Meinung und schreiben ihm eine gehörige Mail!

 

 

DENKE ICH AN DEUTSCHLAND BY nackt

Ich bin - also denke ich. Ich bin nackt - also denke ich nackt. Denke ich an Deutschland bei nackt, was bleibt dann übrig? Das kollektive nackte Bewußtsein? Stolz ein nackter Deutscher zu sein? Warum? Weil Deutschland ein Land der nackten Dichter und Denker und Musiker (Komponisten) ist?

Nackte Dichtung, nackte Gedanken und nackte Musikkompositionen gibt es woanders auch. Was bleibt da übrig? Die nackte Brüokratie etwa?

"Erregung öffentlichen Ärgernisses" würde es im Bürokratendeutsch heißen, wenn ich nackt durch die belebte Fußgängerzone der nackten City ginge. Doch welches nackte öffentliche Ärgernis hatte es erregt oder erregt es noch heute, dass hundert und abertausende Deutsche nackt mit dem Rücken an ihren selbstausgehobenen nackten Gräber standen und in die nackten Augen uniformierter Deutscher den nackten Tod ins Gesicht sahen?

Kinder haben kein Zuhause. Warum? Alte Menschen dürfen keine Kinder adoptieren? Warum? Kinder sollen spielen, dürfen es aber nirgendwo. Warum? Ausländer sind Ausländer, obwohl sie im Land leben. Warum? Waren sind da, wo sie sich die Wenigsten leisten können und dort, wo sie die Meisten brauchen ist nichts. Warum? In der einen Hand die brennnende Zigarette und die andere schreibt ein Referat über Luftemmissionen und ihre schädliche Wirkung auf die Umwelt. Warum?

Denke ich an Deutschland bei nackt: Liegt da draußen irgendwer, schauert was im Lichtermeer der Stadt? Lieg' auf der Lauer am Horizont: kein künstliches Gewebe, nein! Nicht einen Fetzen am Leib, ausser nackter Haut. Auf den Sprung bereit zu fliehen, dünkt ich doch lieber an Feen in Deutschland bei Nacht und nicht das Rasseln blanker Säbel. Rann ich durch ne winz'ge deutsche Pampa ganz nackt und am Tag hoff' nicht zu glauben einst ein Massengrab like I stretched on your grave wie Sinnead O'Connor in ihr' Land zu überqueren.

Da wünscht ich mir mein Land, das sich auszieht, um nackt zu sein und nicht das auszieht, um Macht zu sein.

 

 

©1995: F. K. Kurzhar eine mailen?

 

Das Gericht im Nichts

Das Hohe Gericht der Logik setzt sich aus den Göttern der Gegensätzlichkeit zusammen: Yin und Yang. Obwohl die beiden Gegensätze ausdrücken, harmonisieren sie miteinander und bilden das Hohe Gericht der Logik, in den es keine Richter, keine Verteidiger, keine Anwählte, keine Paragraphen, keine Plädoyes, keine Schöffen, keine Zeugen und keine Urteile gibt.

Das Gericht im Nichts ist ein Effektgericht. Die einzig nicht-nichtigen Anwesenden des nichtigen Gerichts sind die beiden Götter Yin und Yang, bekannt durch den geteilten Kreis. – Ein Symbol, das in der Mitte durch eine geschlängelte Linie geteilt ist. Das Symbol effektiert einen geteilten Kreis: die eine Hälfte ist dunkel, die andere ist hell. Die dunkle Hälfte birgt in sich einen hellen Punkt, und die helle Hälfte in sich einen dunklen.

Dieses Symbol deutet die Lehre der Gegensätzlichkeiten an. Die Lehrer dieser Lehre sind zwei Götter. Der Gott der dunklen Hälfte heißt Yang. Die Göttin der helleren Hälfte heißt Yin. Beide sind jedoch ineinander austauschbar. So dass das folgendes bedeutet: Yang ist auch Yin. Yin ist auch Yang.

Das Gericht im Nichts entscheidet über ein Nichts nach dem Tod. Es entscheidet schon darüber im Sterben. Und jeder ahnt von seinem Nichts schon im Leben. Die Götter Yin und Yang üben ihre Tätigkeit unter irdischen Existenzen aus. Sie wüten mit Donner und Blitz. Der Mensch ist durchdrungen mit Gegensätzlichkeiten. Er ist einer von vielen, dem der Weg ins Nada offen steht.

 

©1986,
Kosake

 

Das Nichts

Setzt man sich gekonnt mit dem Nichts auseinander, indem man nichts tut? Aber das ist gar nicht so einfach. Oder haben Sie schon einmal nichts getan? Rein gar nichts? Es reicht doch schon an etwas zu denken, und, schon hat man etwas getan: nachgedacht. Oder geträumt. Oder auch geschlafen und sich wild bewegt.

Was auch immer. Nun, man muss sich anhand so vieler Geständnisse fragen lassen: "Gibt es überhaupt ein Nichts?" – Keine Antwort. Und dadurch spürt man gleich: das Nichts! Es ist da. Nur nicht dort, wo es fehlt:

in unseren Vorstellungen.

Wo ist es nur? Das Nichts? Ich sehe es nicht. Ich kann es nicht erkennen, nicht wahrnehmen. Wie mag das Nichts bloß aussehen? Riechen? Schmecken? Sich anfühlen?

Es hat doch alles und jedes ein definierbares Äußeres, und einen Charakter, und eine ganz bestimmte Eigenschaft, und einen Namen. Nur das Nichts – es hat kein definitives Äußeres, keinen Charakter, keine ganz bestimmte Eigenschaft, aber einen Namen: N.I.C.H.T.S.

Nachts.Ist.Cindy.Hayes.Total.Schön.

Nachts aber ist es dunkel und wen sieht man? Nichts!

 

©1990,
Kosake

 

Im Uhrzeigersinn – Sowohl als Auch

"Die Uhr läuft nur in eine Richtung! Du brauchst mir gar nicht zu zeigen, was Du meinst! Die Uhr läuft von links nach rechts und nicht anders rum!", kochend vor Wut glaubte seine Mutter zu verstehen, was er meinte.

"Ich habe doch auch nicht behaupet, dass die Uhr nicht von links nach rechts läuft. Aber sieh doch selbst, dass die Zeiger ihre Richtung wechseln, wenn sie die 6 passiert haben! Von der 12 zur 6 laufen die Zeiger nach unten - von der 6 zur 12 jedoch, nach oben. Somit sage ich dir, dass das Uhrwerk nicht nur mit, sondern auch gegen den Uhrzeigersinn läuft!", dabei wollte er ihr nur erklären, dass es kein "für" ohne ein "wider", dass es kein "mit" ohne ein "ohne", dass es kein "oder" ohne ein "und" geben konnte. Das konnte oder wollte sie nicht begreifen.

Nicht nur seine Mutter, auch seine Freundin nicht und sein Freund versuchte gegen ihn zu argumentieren, ohne dass er verstand, worum es eigentlich ging. Sein Freund sah doch nur, dass ihm ein Querdenker gegenübersaß. Nichts weiter. So machte es den Eindruck. Er wollte seinen Freund überzeugen, ohne dass der sich überzeugen ließ, so wie er es eigentlich erwarten durfte – unter Freunden. Zumal es den Eindruck machte, als hätte sein Freund aufmerksam zugehört, doch verstanden hatte er offenbar nichts. So war es auch geblieben.

War es denn eigentlich unmöglich, ihn zu verstehen? Das hatte er nie glauben wollen. Die Zeiger der Uhr jedoch bewegten sich wie immer. Sie bewegten sich immer im Kreis ohne selbst die Richtung zu kennen. Und es lag immer lediglich an der Perspektive, die man hatte, wenn man ihr Zifferblatt betrachete. Sah man das Blatt der Uhr durch einen Spiegel hindurch, so sagte man sich, die Uhr liefe verkehrt herum. Spiegelverkehrt. Doch das war ein Irrtum des Betrachters. Die Zeiger hielten ihre unbestimmbare Richtung inne. Hing das Zifferblatt mit der Zwölf nach unten an der Wand, glaubte man, die Uhr hinge falsch herum. Auch das war ein Irrtum. Die Zeiger verfolgten ihre unbestimmbare Richtung. Und man änderte nicht die Zeit, wenn man sie richtig herum an die Wand hängte.

Relatives Denken bedarf einer Toleranz, die den Dreien wohl just among nicht gegeben ward. Seiner Mutter nicht, seiner Freundin nicht und seines Freundes auch nicht. Doch hätten sie zugehört und nachvollziehen versucht, was er meinte, so hätten sie verstanden, dass die Zeiger der Uhr nicht nur "mit", sondern auch "gegen" den Uhrzeigersinn laufen. Darauf beruhte nun mal jedes Prinzip des Lebens, dass das eine ohne das andere nicht funktionierte.

Wir, die Menschen, die wir wählen können, hatten das "entweder oder" erfunden, doch die Natur kannte dieses Prinzip nie.

Doch als er starb, glaubten die 3, seine Mutter, seine Freundin und sein Freund ihren Augen kaum: Die Zeiger der Uhr liefen nicht mehr so, wie sie es gewohnt waren. Die Zeiger liefen von der 12 zur 6. Das war auch korrekt. Doch bei der 6 hielten sie kurz inne und gingen "rückwärts" wieder zur 12.

Jetzt erst hatten sie verstanden, dass es etwas gibt, was sie nie verstehen wollten. Sie hätten so gern über ihre eigene Intoleranz gelacht, aber sie konnten es nicht...

 

© Brian Brain, 1987

 

It’s no Fan! – It’s a Hooligan!

Six o‘ clock. Six bells are ringing. It’s time. A quarter past six. Six time bells are ringing: a peep-peep and a drrrrrrrtttd a suide-suide and a rough-rough, a quiiiiiiirrrrrlll and some music.

Six young kids are going by bus and train, by parents‘ car and bikes, by auto-stop and with a little walk to their work.

Another time. Same day. Time’s running against noonbreak.

Six young kids have a break. Some have a kit-kat and some have sandwiches. Everyone is drinking. There are six cup of coffees in six young kids‘ hands.

Working time is running down empty. It is five minutes past four p. m. Six young kids are going home by different medias to go with. Six young kids fall at home into their furnitures.

It’s a quarter to six p. m. Six young kids with baseball rockets are going down the Sixth Street in the Sixth Bloc, where the stadium is. Six young kids are drinking six beers and having fun. They are making six jokes about minorities, but not about themselves. And protesting six simple solutions for six difficult problems.

Now it’s a quarter past seven on Wednesday evening. Six young kids are waiting for the end of the sixth football match in this season.

It’s half past seven. The end of the match. Six young kids are starting their violent game. They are beating with their rockets six fans to death.

"What’s the matter?"

  • "One moment pls! My producer is asking me something..."

I am in the wrong century? Why? Of course! Surely! I had forgotten that we are already in second millenium. Excuse me, pls!

 

© Mel Byrne, 2oo1

 

Das Haus im Magischen Zirkel

"Also ich bin gern Bulle. Der Job ist zwar hart und vorallem in meinem Bezirk muss man aufpassen, dass die Gangstas, also die jungen Drogensüchtigen, einen nicht über den Haufen schießen, aber ich sag‘ immer: Junge! Wer zuerst schießt, mahlt zuerst und lebt auch länger. Aber ich tue meinen Dienst mit Leidenschaft und fürs Gesetz. Also passe ich auf, dass das Gesetz auch befolgt wird.

Komm Kriegrich, starte durch! Lass‘ uns mal ein bisschen im Kyfferweg aufräumen! Heut‘ ist Haus Nummer dreiundachtzig dran! Gib Gas!"

Kriegrich am Steuer dreht den Schlüssel und tritt aufs Gas. Sofort macht der Streifenwagen einen Satz nach vorn und prescht, kreischend und quietschend die Straße rauf.

Währenddessen ist im Kyfferweg 83 ein Sit- und Dope-Inn. Lutz, Hacke, Lilli, Döpke und Stonie paffen und palavern. Hacke zieht durch und bläst mit bleichen Backen den Rauch aus sich heraus. Der ganze Raum duftet orientalisch. Hacke schiebt die Blubberpfeife von sich und sagt in die Runde:

"Stell‘ euch vor: so einen magischen Circle ums Haus und alle, die in den Kreis treten werden überglücklich."

Als plötzlich die unverschlossene Tür eingerammt wird und Kriegrich und Keulen-Kalle in der Tür stehen. "Ha Ha!", triumphiert Keulen-Kalle, "haben wir euch erwischt!?"

"Die spritzen bestimmt Drogen, Chef!", erfaßt Kriegrich den Ernst der Lage, "Bestimmt Haschisch und so’n Zeugs."

"Schuhe aus!", erbost sich Stonie den Polizeibeamten gegenüber, woraufhin die Beamten brav dieser Anweisung Folge leisten. Zuerst zieht Kriegrich die Stiefel seines Vorgesetzten aus. Der Dampf gährender Socken vermischt sich mit Ciro-Ciro-Rauch. Ein penetrant-perverser Geduft entsteht.

"Dürfen wir den Grund Ihres unangemeldeten Besuches erfahren?", erkundigt sich stinkenfreundlich Döpke mit spitzer Zunge.

"Wir sind hier, weil wir glücklich sind!", ergreift Knüppel-Kalle das Wort. Währenddessen fummelt Kriegrich an dem Schnürband seines Stiefels..

"Wenn dir jemand eine Schleife beigebracht hätte, müßtest du deine Schuhe nicht zuknoten, ha ha ha!", freut sich Knüppel-Kalle, der permanente Stiefel-mit-Reissverschluss-Träger. Doch Kriegrich weiss zu kontern. Zwar unterbewußt, aber dennoch bewußt:

"Knoten wurden mir auf der Polizeischule gelehrt und Schleifen gehörten nicht zur Prüfung."

"Männnner!", stöhnt Lilli abwertend.

"Was heißt das: ihr seid glücklich?!", will Lutz wissen.

"Wenn ich euch da so sitzen sehe, erinnert mich das an meine Jugend...", erzählt Knüppel-Kalle und lehnt sich auf dem gemütlichen Küchenstuhl zurück, "...damals war ich bei den Pfadfinders. Wir ham damals auch in der Runde gesessen und gealbert, wir hatten nur nich‘ so lange Haares. Ach, was waren das für Zeiten!"

  • Das Pfadfinderlied der Scherben folgt: "Ach, was waren das für Zeiten...na, na, na, na, na, na, na. Einmal täglich..." –

"Ich bin sooo glücklich, Aldär, du glaubst es gar nicht!", fröhnt Kriegrich und klopft sich vor Glück auf die Schenkel, "Wenn ich vor Spritzen nicht so einen Bammel hätte, würde ich mir ja auch mal gern Hasch spritzen wollen." Woraufhin alle gröhlend, ja gar dröhnend und ächzend zu Lachen beginnen.

"Siehste, wie fröhlich die Haschbrüder sind. Woll’n wa einen Perzen, Schwesta? Wie ist’n das mit Hasch und freier Liebe, Schwesta? Lust auf Höggeln?", geilt Knüppel-Kalle Lilli an. Doch Lilli reagiert gelassen und ungehalten, wie immer:

"Geh‘ zu die Pfadfinders Löcher stopfen! Geile Sau!"

"Wir ziehen uns mal Einen durch, dann sieht alles ganz anders aus.", philosophiert Kriegrich und packt einen zweipfundschweren Stein auf den Tisch und meint: "Wenn das so ist, Chef, dass Hasch geraucht und nicht gespritzt wird, dann tun wa uns doch was vom Dope verbacken, was wir letztens eingekascht ham!"

"Das heißt nicht gekascht, Junge, das heißt gehascht!", belehrt ihn der Vorgesetzte.

"Komm! Ich bau‘ Einen!", droht Hacke und wirft das Kilo Hasch in eine Auflaufform, die er dann in den dreihundert Grad heißen Ofen schiebt.

"Alles!?!", schreit Kriegrich glotzend.

"Menno!", muckiert sich der Chef, "Laß ihn doch! Wir ham doch genug davon."

  • Es folgt der Auflauf-Song ("Hurra, es gibt Haschauflauf...")

Die beiden glücklichen Bullen, die auf einer "glücklichen Wiese" weideten, sind jetzt so breit, dass sie längs ins Auto geschoben werden mußten.

"Die nächste Razzia ist in Haus Nummer vierundachtzig. Gib Gas, Ker‘!", ordert Knüppel-Kalle. Und die beiden glücklichen Polizisten düsen den Kyfferweg hinauf.

 

© Freya Beyer, 1986

 

Erinnerungen eine Bürgers

Eigentlich bin ich ja ein wohlerzogener Mann. Ich bin verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder , bin – wie sich das gehört – geschieden, verdiene sehr gut und lebe mit meiner zweiten Frau und unseren Kindern, einem 12jährigen Jungen aus ihrer ersten Ehe und einem gemeinsamen vierjahrigen Jungen aus zweiter Ehe zusammen. Und doch erwische ich mich in letzter Zeit oft versunken in den Erinnerungen meiner Studentenjahre.

Es war während der Examensvorbereitungen, als ich meine rebellischen Jahre als vollzogen glaubte und ich mich zu reformieren begann, im Bewußtsein dem Ernst des Lebens gegenüberzustehen. Mir wurde bewußt, dass ich gar kein Nachtmensch mehr war. Die Nächte in Diskos, Bars und auf leeren Straßen waren zu Nächten im Bett oder allerhöchstens hinterm Schreibtisch geworden. Tagsüber lebte ich nun mein Leben und es machte mir Spaß.

Mein Tag begann in der Regel spätestens um 9 und endete kurz vor oder lang vor Mitternacht. In der Regel! Doch an diesem Tag bestätigte eine Ausnahme diese Regel. Aber der Reihe nach:

Fangen wir heute um sieben Uhr an. Es ist ein jobfreier Donnerstagmorgen (nur am Rande sei erwähnt, dass ich mir mein Medizin-Studium nur mit lukrativen Nebenjobs finanzieren konnte) und draußen gießt es in Strömen. Der August neigt sich dem Ende und alles in allem hat der Sommer wettermäßig nicht meinen Erwartungen entsprochen. Ich stehe also auf, nutze die frühe Gunst der Stunde, um den Drucker meines abwesenden Mitbewohners zu benutzen, um einen Lebenslauf und eine Bewerbung für einen Assistentenjob in der medizinischen Fakultät anzufertigen. Dabei habe ich eine knappe Stunde in das verdammte Layout gesteckt und dachte mir: "Na, wenn dieser Erfolg nicht ein Anlaß für einen guten Kaffee und eine ebenso gute Tüte ist?"

Das war er. Ohne Frage. Ich wußte, ich werde am späten Vormittag nach Bochum fahren, um in der medizinischen Fakultät der Ruhr-Uni meine Bewerbung für die zu besetzende Tutorstelle persönlich abgeben. Jedoch, wenn ich zeichne (die anatomischen Zeichnungen für meine Examensarbeit erstellte ich immer per Hand, bevor ich sie am PC weiterbearbeitete) vergeht die Zeit wie im Flug und nach ein paar Pinselstrichen war es auch schon halb elf. Zeit zu gehen.

"Nehme ich das Gras mit oder lasse ich es hier?", eigentlich stellte ich mir diese Frage gewöhnlich nie, da ich in der Regel tagsüber nicht rauche. Aber wenn ich sie mir schonmal stellte, dann erlaubte ich mir in diesem Fall auch mal vom Dogma abweichen zu dürfen.

So wie heute. Und los geht die übliche Routine. Stradabahn. Zug. U-Bahn. Campus überqueren. Mensaessen. Medizinische Fakultät. Bewerbungsunterlagen einreichen. Erfahren, dass die Stelle schon wohl so gut wie besetzt sei. "Mal-sehen-was-man-da-machen-kann"-Getue. Caféte. Automatencappucino. Stencil rollen. Draussen vor der Tür paffen. Dann in die Bibliothek. Literatur über CD-RoM suchen. Freundliche Hilfe von Ina bekommend (die ein Jahr darauf meine erste Frau wurde). Verabreden für nächsten Montag. Notizen machen. Rausgehen. Cappucino. Stencil. Reingehen. Notizen machen. Kommilitonen treffen. Und plötzlich ist es fünf Uhr am Nachmittag.

Ich gehe durch die geisteswissenschaftlichen Katakomben mit dem weiten Blick durch riesige Fensterfronten auf das Ruhrtal und der verregnete Tag verwandelt sich zu einem sommersonnigen Abklang. Es sieht ganz so aus, als würden die letzten vier Stunden des Tages noch warm und gemütlich werden. Und diese Hoffnung macht mich plötzlich und unvermittelt völlig geil.

An diesem Tag besaß ich noch knapp hundert Mark und wüßte damit ein paar Tage über die Runden zu kommen. Der Monatsanfang war ja schon in Sichtweite. Dem stand nur noch ein letztes Wochenende bevor. Allerdings sollte etwas dazwischen kommen:

Meine schier unersättliche Geilheit, hervorgerufen durch Sonnenstrahlen, die sich durch die grauen Wolken des Alltags an diesem Donnerstag erfolgreich durchgekämpft und sie am Abend dann vertrieben hatten. Ich stehe bereits am Bochumer Hauptbahnhof. In fünf Minuten würde ich meinen Zug nehmen. Zeit genug, um ein paar Züge aus einem schnellgedrehten Stencil zu nehmen. Doch wo ist mein Gras abgeblieben?

"Fuck!", zischt mir leise über die fest verschlossenen Lippen. Ich kann es nicht finden. Dunkle Schatten schwärzen meine Absichten. "Es kann, wenn ich Glück habe, auf oder an dem Platz noch liegen, wo ich zuletzt gesessen und geraucht hatte.", denke ich und entschließe mich spontan, dahin zurückzukehren.

Das Gras befand sich in einem leeren Tabakbeutel und es kann mir auch aus der Tasche in der U-Bahn gefallen sein. "Dann gute Nacht Onkel Otto!", würde meine Frau heute zu sagen pflegen, wenn sie denn damals mit mir auf Gras gewesen wäre. "Was tun?", diese mir selbst gestellte Frage hatte sich just von selbst geklärt, denn ich sitze bereits wieder in der U-Bahn Richtung Uni-Campus. Gedankenbeladen. Mit Zweifeln und Hoffnungen beseelt. Wachsamen Auges rollt die U-35 mit meinen hyperwachsamen Auge in die Station "Ruhr-Universität" ein. Ich interessiere mich plötzlich brennend für herumliegenden Abfall. Spähe insbesondere nach Tabakbeuteln. Und da, oben auf der Plattform, just vor diesem Papierkorb liegt ein leeres Päckchen – a wa: es ist sogar Bantam! – Ich hebe es auf: leer. "Das war er!", da bin ich mir plötzlich sicher; "Irgend so ein Scheiß-Kommilitone, wahrscheinlich auch noch ein Kiffer, der freut sich jetzt!" Oder das Päckchen ward vor wenigen Minuten erst Opfer einer Guten Tat eines engagierten christlichen Studenten: den Inhalt weggekippt, statt weggekifft. Ende.

Hoffnung gleich zwei Meter tief, einen Meter breit und zweieinhalb Meter lang begraben, suche ich trotzdem noch nach einem Lebenszeichen meiner Mary Green. Und da!

Was liegt da auf dem Boden? Ein Päckchen namens "Fair Play". Ist bestimmt leer. Ich hätte es mir wohl damals nie verziehen, wenn ich mich nicht danach gebückt hätte. Denn drinnen ist feinstes Marihuana. Mein Marihuana.

Der Tag ist gerettet und die dunklen Wolken der Depression haben sich im Nu verzogen. Jetzt konnte ich getrost in meinen Heimatort fahren, um Kornelia, meine damalige Ex zu vögeln. Sie mochte mich eigentlich gar nicht mehr. Und ich sie eigentlich auch nicht. Das einzige, was sie an mir noch mochte, war mein Schwanz gewesen. Und deshalb rief sie mich völlig unregelmäßig an – Sie müssen wissen, dass die kurze Ehe zwischen ihr und mir, aus der zwei Mädchen hervorgegangen waren, schon einige Jahre her ist – und erkundigte sich dann telefonisch nicht nach meinem Wohlergehen, sondern direkt nach meinem "Schwänzchen", wie sie es ausdrückte. Wenn es uns beiden denn genehm war, pflegten wir für ein paar Tage oder gar Wochen eine sexuell orientierte Affäre, unterhielten uns ein wenig, aber gingen alsdann unserer Wege. Aus zwei dieser Affären gingen dann unsere Kinder hervor, die mich zweimal im Monat für ein Wochenende besuchen dürfen. Und ansonsten bei meinen ehemaligen Schwiegereltern ein geordnetes Leben führen. Was die Affären mit Kornelia angingen, so konnten auch schonmal Jahre ohne ein Lebenszeichen von meiner Exfrau zu bekommen vergehen. Kornelia gehört zu den Frauen, die bis heute nicht lange an einem Ort leben können. Mal war sie in irgendeiner Stadt im Inland. Mal in irgendeinem Nest im Ausland. Und gelegentlich bezog sie ein Appartement in Dortmund. Und wenn ihr danach war, rief sie mich an, wobei sie regelmäßig Momente erwischte, an denen ich solo war und auf sie spontan ansprang. Während solcher Perioden erlaubten wir es uns auch gegenseitig uns ohne Vorankündigung zu besuchen. Entweder wir erwischten uns und vögelten gierig und heftig oder aber wir erwischten uns nicht. So fahre ich also zu ihrem Appartement tief im Süden meiner Stadt und wer war nicht da?

"Auch gut.", denke ich mir mit meinem riesigen Ständer in der Hose und der vorbereiteten Vorstellung im Kopf wieder mit allen Endgliedern in ihrem Arschloch sein zu dürfen. Vonwegen. "Was!? Was?! Was!?! Walhalla!!!" Ich war schon lange nicht mehr in dieser rockigen Studentenkneipe, die damals mitten in der City lag. Also warum nicht auf in diese Bar?

Doch dort hätte es bei einem Bier bleiben sollen. Ich treffe jedoch noch dort diesen und jenen bis die letzte Bahn fährt. Ich darf nicht allein nachts durch diese gottverdammte Gegend, die ich kenne, wie meine Wespentasche – von der ich ja auch oftmals gar nicht weiß, was sich drin verbirgt – und bin sicherheitshalber abgebogen. Denn ich war geil!

Keine Kornelia, kein Glück im Walhalla, weil nur Pärchen und männliche Singles dort rumliefen und kein Bock auf Tour zu gehen und diesen langen Weg des Kennenlernens im Balzgang zu vollführen (ich lerne nur Frauen dann in Diskos kennen, wenn ich rumrocke wie ein triebiger Stier, doch darauf hatte ich keine Lust). Im übrigen hatte ich bereits am Ende des Studiums das Interesse an One-Night-Stands verloren. Hatte allerdings auch kein Interesse nach einer Beziehung zu suchen, denn die hatte ich nach anderthalb Jahren erst kürzlich aufgegeben mit einer Kommilitonin, die ich in der Bibliothek direkt nach meinem Asientrip kennengelernt hatte. Übrigens sind Bibliotheken sowieso die am bestgeeignetesten Orte für Begegnungen zwischen den Geschlechtern.

Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Kennenlernen. Ich saß an einen der Rechercherechner in der dunklen Bibliothek mit Sonnenbrille auf der Nase. Aber nicht, wie Sie vielleicht glauben, um cool an diesem heissen Oktobertag zu wirken. Nein, sondern nur, um überhaupt etwas zu sehen. Denn meine Klarsichtbrille wurde beim Optiker für ein paar Tage in einem Säurebad geschliffen, da sie in Indien eine Menge Schleifspuren erhalten hatte (warum ich in Indien eigentlich mehr die Klarsichtbrille als die Sonnenbrille getragen habe, bleibt mir bis heute ein ungelöstes Rätsel). Jedenfalls musste ich damals auf die hübsche Studentin gegenüber mit dieser Sonnenbrille und meiner asiengebräunten Haut irgendwie sexy gewirkt haben. Denn sie ließ es nicht bleiben, zu mir rüberzulächeln. Allerdings konnte sie bei mir keinerlei Gesichtsregung feststellen, da ich sie nur aus den Augenwinkeln heraus beobachtete und ich nur eins im Kopf hatte: ein wichtiges Buch meines Professors, der meine mündliche Physikumsprüfung in vier Tagen abnehmen würde. Ein hochbegehrtes Buch, dessen Literaturhinweis ich erst vor einer knappen Viertelstunde erhalten hatte. Und dieses Buch könnte nur allzuschnell vergriffen sein. Die schnellste Methode jedoch, um an ein heiß-begehrtes Buch zu kommen war die über den Rechner. Doch sie ließ nicht locker. Fühlte sich offenbar provoziert, dass ich nicht reagierte. Und so fing sie plötzlich zu fluchen an. "Was soll ich denn jetzt eingeben?", murmelte sie laut genug, um den Pullunder-Maschbaustudenten neben ihr erröten zu lassen, mit einem berliner Akzent sondergleichen. Meine Konzentration war mit einem Male dahin und ich mußte automatisch meinen Blick vom Monitor nehmen, um ihr doch ins Gesicht zu sehen. Zirka 20 Minuten später hatten wir zwischen den Regalen geknutscht und waren ab diesen Tag für anderthalb Jahre ein festes Gespann. Bis sie mir vor kurzem unterstellte, ich würde eine intime Beziehung zu einer ausländischen Gastprofessorin pflegen. Was überhaupt nicht stimmte. Und trotzdem setzte sie alles daran, dieses Gerücht an der Uni zu verbreiten. Damit der Trubel gar nicht erst ins Rollen kam, beendete ich diese Beziehung. Es war ja auch nicht ihr erster Anfall von unbegründeter Eifersucht gewesen, der mich zu diesem endgültigen Schritt bewog. Erinnert sei nur an diesen unglaublichen Auftritt bei unserem Lieblingschinesen direkt zu meinem Geburtstag.

Doch zurück zum besagten Tag, der mittlerweile schon zur Nacht wurde und seicht in den neuen Tag überging. Das letzte Bier war getrunken und der neue Tag verdaute bereits seine erste Stunde mit einem leisen Rülpser. Ich verlasse die Bar und gehe also zu Fuß durch die City und immer noch in Gedanken, den Tag mit einem guten und unkomplizierten Fick beenden zu wollen. Mittlerweile durfte dieser ruhig schon etwas kosten dürfen. Das war mir die Sache in meinem halbtrunkenen Zustand bereits wert. Ich schlage einen Umweg durch den Sperrbezirk der Stadt ein und in der Hoffnung, da möge keine sein die eine wäre, schleiche ich mich durch die Straße wo sie stehen und warten auf die, die einen stehen haben. Sie hakt sich bei mir unter und will mit mir nach Hause. Sie sagt, ich wäre ihr Freund und nickte lächelnd einem im Schritttempo fahrenden Streifenwagen entgegen. Dass es so einfach werden würde hätte mich misstrauisch werden lassen sollen. Und wieso hatte ich eigentlich keine Kondome mehr im Haus? Lag es vielleicht an dem Kondomautomaten unten in meiner Straße?

Auf dem gemeinsamen Weg wird sie immer pikanter mit ihren Darstellungen eines gelungenen Geschlechtsaktes und wie sehr sie sich darauf freuen würde, endlich mein Glied sehen zu dürfen. Allerdings sollte ich Verständnis dafür haben, dass sie einen kleinen Obolus dafür verlangen würde. Damit hatte ich ja eh schon gerechnet.

Als wir in meinem Zimmer waren und ich ihren langen Trenchcoatmantel abgenommen und an die Garderobe gehängt hatte, fällt sie sofort über meine Jeans her. Öffnet die Knöpfe meiner Hose und fingert meinen geschwollenen Penis hervor.

"Ach!", ruft sie, als sie mich bereits komplett aus meinen Klamotten gepellt und ihren Obolus schon a priori abkassiert hatte, "Jetzt hätte ich doch im Eifer des Gefechts ganz vergessen unten eben Kondome zu ziehen."

Das war das letzte was ich seit dem je wieder von ihr gehört habe. Was blieb war die schwindende Hoffnung, dass sie zurückkäme, ihr Trenchcoat an der Garderobe und ein Loch in der Kasse in Höhe von 50 D-Mark. Heute, wo es schon lange keine D-Mark mehr gibt, kann ich über diesen Verlust nur noch müde lächeln und mich an die "Was-wäre-wenn-sie-zurückgekommen-wäre"-Theorie in Momenten des Alleinheimspiels erfreuen.

 

©2oo0, Brian Brain

 

 

Ein Tag aus dem Berichtsheft des Fleischer-Azubis Roland B. oder

ZUSTÄNDE WIE AUF EINEM SCHLACHTHOF

"Tite de lit lit lit." Und noch mal: "Tite de lit lit lit." und das ganze wiederholt sich mehr als ein Dutzend Male: "Tite de lit lit lit." Man will ja nicht herzlos sein, aber es ist wirklich Zeit. Roland! "Tite de lit lit lit." Zum xten Male: Roland! "Tite de lit lit lit." Komm Roland! Die Geschichte muß doch weiter gehen. "Tite de lit lit lit." ROLAND?! "Tite de lit lit lit." Mein Gott, Roland: ohne dich läuft doch nix, ausser dieser Wecker! Nun komm schon! "Tite de lit lit lit." Roland! Raus jetzt! "Tite de lit lit lit." "Tite de lit lit lit." "Tite de lit lit lit." Roland! Hau rein! Damit du nicht zu spät kommst.

07:13 Uhr. Roland in Eile. In die Schuhe und schon saust Roland schlurfend zur Arbeit.

07:25 Uhr. Stechuhr

07:30 Uhr. Schweinemurxen

Tja, für heute ein versehentlich an den Anfang der Woche gerutschter Montag. Schweinemurxen. Apropos Schwein! In diesem Laden gibt es nur ein Schwein, das vom Schweinemurxen noch nicht betroffen wurde; und das ist mein Chef persönlich.

09:20 Uhr. Chefsache

Gesicht und Teint, Figur und Persönlichkeit schweineähnlich. Sein Auftreten, sein Verhalten und überhaupt sein Benehmen ist recht schweinisch.

10:00 Uhr. Mitarbeiter

Anderseits sehen es alle Mitarbeiter als eine Beleidigung der Schweineehre an, wenn man den ‚Scheff‘ als ein Schwein bezeichnen würde. Es gibt reichlich andere Koseformen für eine blutwurstähnliche Gestalt wie die meines "Scheffs".

11:30 Uhr. Murxer

Wieder an den Murxer. Der Murxer ist eine übergroße Kreissäge, die die tiefgefrorenen Schweine in einem Zug halbieren kann.

14:10 Uhr. Fließbandarbeit

Schweine werden am Fließband hängend kopfüber durch eine Luke geschleust.

14:50 Uhr. Ausbluten

Den Schweinen wird die Kehle durchgeschnitten kurz bevor sie in den Ausbluter landen.

15:05 Uhr. Alarm

Unser ‚Scheff‘ wird vermisst. Irgendwie. Oder heißt es, er wurde vermessen?

15:40 Uhr. Murxer

‚Scheff‘ verläßt etwas zwiespältig den Murxer

16:00 Uhr. Scheffsache

16:30 Uhr. Feierabend

 

©
Kosake, 2oo1

 

Die ästethische Rache des Jürgen A.

Markus und ich, wir wohnten schon so lange zusammen. Wir war’n schon ein (t)olles Gespann. Und wird zynischerweise bei der Aussprache unserer Vornamen – vorausgesetzt, mein Name klingt zuerst – das kleine feine Bindewort ‚und‘ ausgelassen, könnte das zu einer Verwechslung mit einem gleichnamigen deutschen Schlagersänger der 70iger Jahre führen.

Und hier wohnten wir nun: Jürgen, Markus und all die anderen mikroskopisch kleinen Mitbewohner dieser 2-Zimmer-Küche-Diele-Bad Wohnung im dritten Geschoß einer nach einer winzigen Hansestadt getauften Straße mitten in der City von Dortmund. Markus: Widder, Schlange, Musiker und bukowsk’scher Poet. Jürgen: Waage, Drache, Poet und bukowsk’scher Musiker. Er wohnte im Süden, ich im Norden und wir beide zusammen wohnten im Osten des Stadtzentrums. Jeder sein Zimmer. Er die Südlage – ich das Nordlicht. Zusammen eine Dusche, ein Klo, einen Balkon und eine Küche mit Gasherd, Waschmaschine, Tisch, Kühlschrank aus den 50iger Jahren und jede Menge Pflanzen. Vorallem in der Küche.

Und genau mit diesen Pflanzen pfängt die Geschichte an. Der Märtyrer in dieser Geschichte heißt auf Latein Stereo Sperma Indicus, zu deutsch: eine durch mich in den Hausstand gebrachte grüne Pflanze mit kleinen, herzförmigen, saftig-grünen Blättern. Sie war zirka vierzig Zentimeter groß und bekam mehrere kleine hellgrüne Triebe. Sie war von einem Jahr von mir in einen größeren Topf umgepflanzt worden. Nachdem sie in der Küche des öfteren ihren Standort wechselte: mal stand sie auf dem Küchenschrank und verzierte Bukowskis gerahmtes Riesenportrait an der Wand überm Küchenschrank, mal stand sie auf dem defekten Nachtspeicher, wieder zusammen mit anderen Pflanzen und zuletzt, da stand sie auf einen fünfundzwanzig Zentimeter hohen Steinaltar. Direkt neben dem Herd. Sie stand genau da. Zugegeben: Sie wirkte auf diesem Altar nicht so majestätisch wie die Palma, die ich Ultisa (Mutter allen Lebens) getauft habe. Ultisa hatte schon von jeher dort auf dem Altar ihren Platz beansprucht – ich habe mit Ultisa schon mehr als ein Jahr hier gewoht, bevor Markus einzog.

Jedenfalls bemerkte ich an einen der vielen sonnigen Nachmittage eine Veränderung, als ich die Küche betrat. SSI (Stereo Sperma Indicus) stand wieder auf dem Nachtspeicher. Sie wirkte so klein, mickrig und herzlos. Und als ich sie mir genauer ansah, stellte ich fest, dass das an ihrem Topf lag. Markus hatte sie umgepflanzt!

Ein Teil ihres Blätterwerks hing schlaff herab. Das kannte ich gar nicht von ihr. Das konnte nur ein Zeichen von Wassermangel sein, war mein erster Gedanke. Das Symptom der hängenden Blätter kannte ich noch von meinen für den Eigenbedarf gezogenen Cannabis. Wenn ich den dann goss, dauerte es nur wenige Stunden und das Blattwerk richtete sich wieder auf. Da konnte ich förmlich zu sehen, als geduldig bepaffter Betrachter.

Also lag es einfach nahe, das ich SSI einen Schluck Wasser zu trinken gab, so, wie das bei einem Verdurstenden getan wird. Vorsichtig. Lieber öfter ein bisschen, als gleich sofort zu viel. Da die Sonne kräftig auf den Balkon schien und SSI sich schon immer über Licht und Wärme gefreut hatte, saßen wir beide auf den Balkon.

Ich sprach mit ihr. Redete ihr gut zu, dass sie sich doch nicht so hängen lassen möge. Doch sie machte keine Anstalten ihr Blattwerk je wieder zu erheben. Ich wurde zunehmend skeptischer. Was hatte Markus mit ihr gemacht? Hatte er sie doch umgepflanzt von einem großen Topf in einen viel kleineren. Und hatte den großen genommen und sein Sumpfgewächs dort gepflanzt.

Hatte er SSI möglicherweise an den Wurzeln beschnitten? Ihr gar die Fruchtbarkeit genommen? Ich weiß es nicht, weil ich die Größe von SSI’s Wurzel nicht in Erinnerung habe. Als Markus das sah, glaubte er, dass ich Stereo Sperma Indicus zuviel oder zu früh gegossen habe (was immer er damit meinte). Auch eine Diagnose. Doch stellte sich heraus, dass das Gießen wohl nicht Schuld war. Ob wir sie nun gossen oder nicht. SSI ließ immer mehr Blätter hängen.

Vielleicht ist sie durch ein Umtopfen noch zu retten? Abwarten. Jedenfalls folgte nach einer ergebnislosen und sterbenden SSI-Zeit die ästethische Rache des Jürgen A.

Denn der glaubte, dass Markus aus reiner Bequemlichkeit – gar nicht mal mit böser Absicht – den Topf von SSI benutzte, da kein leerer Topf im Haus war. Doch genau den brauchte er ja offensichtlich für seine wuchernde Sumpfpflanze. Ich behaupte sogar, dass er die Wurzeln von SSI beschnitten – oder noch ärger: gerissen – hat, um sie in einen wesentlichen kleineren Topf unterzubringen. Jedoch ist das bis heute eine unbewiesene Unterstellung.

Jedenfalls mußte Markus eines Tages bemerken, dass die von ihm in den Hausstand gebrachte Waschmaschine, die sonst wie fast jede andere Waschmaschine auch, einfach nur weiß-lackiert einbulläugig aus der Wäsche guckte, jetzt voller besprühter bunter Flecken war. Ob das die ästethische Rache des Jürgen A. gewesen ist, weiß bis heute nicht einmal der Autor zu sagen.

 

© Juergen Arndt, 1990

 

 

ABENDS IN LEVERKUSEN

Dunkel und entfremdend ist alles auf einmal. Das, was mir vertraut erscheint, rückt in ungreifbare Ferne. Auch die Gesichter der Menschen tragen die Züge vergrauter Monster. Mein Kopf hämmert zum Rhythmus der Straße. Der Pfad auf dem ich wandle wird schmal, dann im gleichen Atemzug unsagbar breit. Mir scheint, als tanze ich auf einem Xylophone.

Es wird mir fürchterlich schwindelig, und ich brauche Halt. Als ich mich an eine Straßenlaterne lehne, knickt diese plötzlich um. Ich falle auf die Straße. Ich schleppe mich zum Bürgersteig. An einer Hauswand will ich mich hochziehen. Meine Hände saugen sich am kalten Beton fest. Endlich habe ich Halt gefunden und ziehe meinen trägen Körper in die Höhe.

Ich will weitergehen, will endlich nach Hause, in mein Bett, denn mir ist sooo schlecht. Doch meine Füße werden schwerer - Schritt für Schritt. Ich muß mich setzen. Tote Vögel stürzen auf mich nieder. Wo kann ich mich hinsetzen? Überall stehen Bänke. Auf denen sitzen Leute, die laut lachen und sie haben weder Augen noch Horen und auch keine Nase im Gesicht. Doch ihre Münder stehen weit offen, und Zähne haben sich nicht..

Einem von ihnen kotze ich mitten ins Gesicht, doch der lacht nur! Und das noch lauter!

Ich renne; sofern es eben geht. Ich kann nicht mehr - nur noch hächeln. Ich muß ausruhen; ich schaffe keinen Schritt mehr! Als ich mich auf einen Mauervorsprung niederlasse, juckt mir der Kopf.

Als ich ihn kratze, rinnt mir Blut zwischen die Finger. Ich spüre, wie meine Kopfhaut warm und feucht wird. Feucht vom Blut. Panisch reiße ich mir einen Wuschel Haare heraus. Rennend setze ich meinen Heimweg fort und verlaufe mich, mit einem Schopf Haare in meiner Hand. Ich fahre mir über den Kopf. Er ist trocken und blutet nicht mehr.

Ich habe mich verlaufen. Wo bin ich? Überall sind Pfeile und Wegweiser. Sie weisen nach rechts, nach links, nach vorn, nach hinten, nach oben und nach unten. Ich trete näher an sie heran. Ich möchte wissen, was auf ihnen geschrieben steht! Nichts!

Unbeschriftete Pfeile und Wegweiser ohne Zeichen - ohne Symbole. Plötzlich fängt es zu regnen an.

Jeder Tropfen ist siedend heiß! Meine Hände und mein Gesicht verbrühen sich im Regen. Ich suche Unterschlupf! Geschützt vorm Regen stelle ich mich in einem Bushaltestellenhäuschen unter. Dort steht ein Dackel und wartet mit seinem Frauchen an der Leine auf den Bus. Eine Polonaise kommt vorbei und hält an. Ich steige auf die Schultern eines Mannes, der fröhlich "So ein Tag, so wunderschön wie heute" singt.

Plötzlich bremst die Polonaise und biegt in ein Wirtshaus ein! Der Kontrolleur hat mich beim Schwarzfahren erwischt und wirft mich aus der Polonaise heraus.

Als ich mich an meine Braue kratzen will, bemerke ich, dass diese mir unterwegs abhanden gekommen ist. Als ich mein Spiegelbild sehe, glaube ich nicht, dass ich es bin. Ich habe meine Augenbrauen verloren! Wie konnte das passieren!?

Ich muß pinkeln. Mein Urin ist feuerrrot! Ich verlasse die Bahnhofstoilette. Ich will nach Hause! Will in mein Bett! Meine Schläfen pochen und mein Puls rast. Meine ZUnge ist auch ganz gelb! Doch warum habe ich keine Brauen mehr?! Ich sacke zusammen.

Zwei fremde Hände ziehen mich hoch. Ich bedanke mich bei den Fremden. der fremde Totenschädel nickt, hüllt sich in seinen schwarzen Umhang, nimmt die Sense und geht.

Leute lachen und halten sich die Bäuche. Mein Magen schmerzt! Ich knie nieder und schreie! Verkrampft schließe ich die Augen. Als ich sie wieder öffne, knie ich vor meiner Wohnungstür. Merkwürdig, dass sie mehr als tausend Schlüssellöcher hat. Eines probiere ich aus. Drehe den Schlüssel und die Tür geht auf.

Ich bin zu Hause! Ich robbe in mein Bett und schlafe tief, fest und traumlos.

 

Es müssen Tage vergangen sein, als ich aufwache. Zuerst blicke ich in den Spiegel. Ich bin leichenblaß, habe tatsächlich keine Augenbrauen mehr. Meine Zunge ist gelb. Mir fehlt ein Haarbusch, dort, wo jetzt eine blutige Kruste ist.

Step a fuck of it! Ich werde jetzt die vierzig Euro, die ich für den Testreihenversuch eines Chemiekonzerns, den ich nicht nennen darf, versaufen gehen.

 

© Freya Beyer, 1984

 

 

EIN PUNK IM P.L.U.S. - ZWEI PUNK...

Neulich, sagen wir es war gegen 7 Uhr morgens, wo die Welt bekanntlich noch in Ordnung sein sollte, ging Moe Smart in den Supermarkt. Als Moe die Tür zum Supermarkt von einem Bewegungsmelder öffnen ließ, begrüßte ihn eine süße Stimme aus dem Off, die er sonst nur vom Stationsansageband der S-Bahn her kannte:

"Guten Moergen Vereinigtes Europa, Schluß der Ladenschlußgesetze, WIR haben sie KRAFT unserer Black Boots aus Brüssel herausgetreten, treten SIE EIN Mr. and Mrs. EURO, ENJOY YOUR SHOPPING!"

Moe Smart wunderte sich schon lange nicht mehr. Hatte er doch die Zeit der Umwalzungen mitbekommen, in der Traditionen und Werte diskussionsartig verpackt Stück für Stück über Bord geworfen wurden, um die soziale Arche Noah vorm Absaufen zu retten. Ja, alle hatten sich damals zu retten versucht in denen sie den titanicgroßen Dampfer namens Neuer Weg enterten, nachdem auch der letzten Landratte klarwurde, dass der Kontinent absäuft.

"Ach fuck!" dachte sich Smart damals und rettete sich als einer der ersten Nichtschwimmer vorsichtshalber ins Beiboot mit dem vielversprechenden Namen Social Beat, wo er nicht allein war, wo einige auf seinen Beischlaf förmlich warteten.

"Ist das denn auch wieder Jahre her?" resümierte Moe Smart, während er die möllemannsche Währung in den Schlitz des Einkaufswagens rammte und schon vorher wußte, diese wohl nie wieder zu sehen. Das war das Plus an Ultra.

Ja, er war zu einem PLUSler verkommen. Diese Supermarktkette Prima leben und saufen beverorzugte er schon seit langem. Denn er war einfach wirtschaftlich aufgestiegen, seit dem er soff. Quasi reich geworden. Und so schmähte er Alles für lullu du idiot - kurz Aldi genannt und wankte, den Griff des Korbwagens mit Trittbrett umklammernd, das gewünschte Wagensortiment aufs Display am Wagengriff getippt durch die Gassen des Supermarktes. Moetörhead aus dem Off machten einen Heidenlärm mit ihrem Geschrei: "EAT THE RICH!"

Fisch im "Greif-zu-und-verpiß-Dich"-Angebot. Moe Smart angelte sich einen Stinkfisch, warf ihn auf die Waage. Ein Servicemitarbeiter von PLUS, ein Punk mit Fingernagelpiercing, bearbeitete den zappelnden Fisch mit den Nieten, die aus seinen Fingerkuppen und -Nägeln, wie kleines Fischbesteck herausragten, warf einen Blick auf den Moenitor, rotzte in die Waagschale, warf einen Blick auf seine Rolex, klebte ein Etikett auf die Kiemen des Stinkfisches und reichte das ölig-triefende Gerätengerüst weiter an Smart mit den Worten: "Macht 7.07 Uhr. Vorne am Cash-Court!" - "Thanks!" erwiderte Smart und strengte sich abermals verbissen an, das Tea Äitsch zu betonen.

Wem es nicht gelang, dem drohte u. U. ein "Lick Up". Moe kannte diese Bestrafung schon: Er hatte schonmal das Tea Äitsch wie ein weiches S gesprochen, als er einem deutschen EU-Kommissar in die irregeführt, der ihn nach einem Klo gefragt hatte und Moe aufgrund der Kälte die Finger nicht aus den Hosentaschen nahm und kopfnickend immer nur "Sehr, Sehr!" gesagt hatte, deutend auf das unscheinbare Kleiderkammerklosett gegenüber, worauf der Kommissar sich reichlich mißverstanden fühlte, immerzu gefragt zu werden, wie dringend sein Bedürfnis denn sei.

Der Kommissar fühlte sich beschissen und genötigt, kraft seines europäischen Amtes, Moe stehenden Fußes zum "Lick Up!" zu verurteilen. Das brachte Moe ein halbstündiges Stiefellecken ein, wobei er sich noch glücklich schätzten durfte, als er sah, wie ein anderer wohl zum "Pick Up!" verurteilt worden war; der auf allen Vieren zwischen dem Bordstein und dem Abwassergraben Zigarettenkippen auflutschen mußte.

Moe gab seinen Wagen Schwung, sprang auf das skateboardmäßige Trittbrett und raste den Mittelgang des PLUS hinunter, vorbei an Schildern wie: "Ein Zeiteuro, heute nur noch einen Zeiteuro!" oder den ordinären "Greif-zu!"-Angeboten, wo für 17.55 Uhr in diverse Tüten gegriffen werden konnte in denen sich Kolonialwaren und hie und da u. U. auch tote Ratten als "Special Surprise" verschweißt, feilgeboten wurden.

Tote Ratten waren immer beliebt; konnten sie doch am Cash-Court gegen eine halbe Stunde KURZWEIL eingetauscht werden. Doch Moe wollte seinen Wagen heute nicht in seiner vollen Fahrt bremsen und zog es vor, nicht nach einem Kurzweil kramen zu wollen.

Im Vorbeifahren naschte er von den Sid-Vicious-Appetithäppchen, die feinchaotisch im EMI-Vier-Etagen-Stellagen einsortiert auf Zugreifer wie Moe förmlich warteten.

PUNK IS NOT DEAD - IT JUST SMELLS FUNNY! war mit Graffity auf der Kühl-Kult-Cooldown-Box in dicken TechnoBuchstaben geschrieben, welche sich teilweise überschnitten und -lappten, die zu lesen, bedeutete, jeden Trendigroovaritismus förmlich entgegen zu schreien. Mit quietschenden HartMetal-Rädern brachte Moe sein Gefährt zum Stehen und sprang vom Trittbrett...

 

 

Schreiben Sie an F. K. Kurzhar eine Mail, wenn Sie eine Idee haben, wie es mit Moe Smart weitergeht...

 

 ©2oo3, RASANTHAUS.de

 

Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben...

Wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Das war immer so. Nicht nur heute, sondern auch in klassischen Zeiten, gab es lauten oder stillen Protest unter den Jungen. Die Alten sagen, dass das nur die Symptome der Pubertät seien, die zu allen Zeiten den Heranwachsenden Schwierigkeiten gemacht haben und es auch weiterhin machen werden.

Was die Alten aber nicht wissen, ist, dass sich der "Protest", wie auch immer er ausgeartet sein mag, keinerlei Wirkung, keinerlei Anklang und keinerlei Gehör bei den Alten findet. So kommt es, dass, wenn die Jungen zu den Alten werden, auch ihr Protest im Zuge der Zeit ersticken wird.

Doch solange wir noch zu den Jungen gehören, ist unser Verhalten immer den der Alten entgegengesetzt geschaltet. Auch, wenn unser Respekt bleibt, wenn wir im lauten Protest voranschreiten, um dem Alten die Maske zu entreissen.

 

©2000,
die RASANTHAUS.de-Avatare

 

FOLGT IN KÜRZE...

APPETIT AUF...

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