"Die Uhr läuft nur in eine Richtung! Du brauchst mir gar nicht zu zeigen, was Du meinst! Die Uhr läuft von links nach rechts und nicht anders rum!", kochend vor Wut glaubte seine Mutter zu verstehen, was er meinte.
"Ich habe doch auch nicht behaupet, dass die Uhr nicht von links nach rechts läuft. Aber sieh doch selbst, dass die Zeiger ihre Richtung wechseln, wenn sie die 6 passiert haben! Von der 12 zur 6 laufen die Zeiger nach unten - von der 6 zur 12 jedoch, nach oben. Somit sage ich dir, dass das Uhrwerk nicht nur mit, sondern auch gegen den Uhrzeigersinn läuft!", dabei wollte er ihr nur erklären, dass es kein "für" ohne ein "wider", dass es kein "mit" ohne ein "ohne", dass es kein "oder" ohne ein "und" geben konnte. Das konnte oder wollte sie nicht begreifen.
Nicht nur seine Mutter, auch seine Freundin nicht und sein Freund versuchte gegen ihn zu argumentieren, ohne dass er verstand, worum es eigentlich ging. Sein Freund sah doch nur, dass ihm ein Querdenker gegenübersaß. Nichts weiter. So machte es den Eindruck. Er wollte seinen Freund überzeugen, ohne dass der sich überzeugen ließ, so wie er es eigentlich erwarten durfte – unter Freunden. Zumal es den Eindruck machte, als hätte sein Freund aufmerksam zugehört, doch verstanden hatte er offenbar nichts. So war es auch geblieben.
War es denn eigentlich unmöglich, ihn zu verstehen? Das hatte er nie glauben wollen. Die Zeiger der Uhr jedoch bewegten sich wie immer. Sie bewegten sich immer im Kreis ohne selbst die Richtung zu kennen. Und es lag immer lediglich an der Perspektive, die man hatte, wenn man ihr Zifferblatt betrachete. Sah man das Blatt der Uhr durch einen Spiegel hindurch, so sagte man sich, die Uhr liefe verkehrt herum. Spiegelverkehrt. Doch das war ein Irrtum des Betrachters. Die Zeiger hielten ihre unbestimmbare Richtung inne. Hing das Zifferblatt mit der Zwölf nach unten an der Wand, glaubte man, die Uhr hinge falsch herum. Auch das war ein Irrtum. Die Zeiger verfolgten ihre unbestimmbare Richtung. Und man änderte nicht die Zeit, wenn man sie richtig herum an die Wand hängte.
Relatives Denken bedarf einer Toleranz, die den Dreien wohl just among nicht gegeben ward. Seiner Mutter nicht, seiner Freundin nicht und seines Freundes auch nicht. Doch hätten sie zugehört und nachvollziehen versucht, was er meinte, so hätten sie verstanden, dass die Zeiger der Uhr nicht nur "mit", sondern auch "gegen" den Uhrzeigersinn laufen. Darauf beruhte nun mal jedes Prinzip des Lebens, dass das eine ohne das andere nicht funktionierte.
Wir, die Menschen, die wir wählen können, hatten das "entweder oder" erfunden, doch die Natur kannte dieses Prinzip nie.
Doch als er starb, glaubten die 3, seine Mutter, seine Freundin und sein Freund ihren Augen kaum: Die Zeiger der Uhr liefen nicht mehr so, wie sie es gewohnt waren. Die Zeiger liefen von der 12 zur 6. Das war auch korrekt. Doch bei der 6 hielten sie kurz inne und gingen "rückwärts" wieder zur 12.
Jetzt erst hatten sie verstanden, dass es etwas gibt, was sie nie verstehen wollten. Sie hätten so gern über ihre eigene Intoleranz gelacht, aber sie konnten es nicht...
It’s no Fan! – It’s a Hooligan!
Six o‘ clock. Six bells are ringing. It’s time. A quarter past six. Six time bells are ringing: a peep-peep and a drrrrrrrtttd a suide-suide and a rough-rough, a quiiiiiiirrrrrlll and some music.
Six young kids are going by bus and train, by parents‘ car and bikes, by auto-stop and with a little walk to their work.
Another time. Same day. Time’s running against noonbreak.
Six young kids have a break. Some have a kit-kat and some have sandwiches. Everyone is drinking. There are six cup of coffees in six young kids‘ hands.
Working time is running down empty. It is five minutes past four p. m. Six young kids are going home by different medias to go with. Six young kids fall at home into their furnitures.
It’s a quarter to six p. m. Six young kids with baseball rockets are going down the Sixth Street in the Sixth Bloc, where the stadium is. Six young kids are drinking six beers and having fun. They are making six jokes about minorities, but not about themselves. And protesting six simple solutions for six difficult problems.
Now it’s a quarter past seven on Wednesday evening. Six young kids are waiting for the end of the sixth football match in this season.
It’s half past seven. The end of the match. Six young kids are starting their violent game. They are beating with their rockets six fans to death.
"What’s the matter?"
- "One moment pls! My producer is asking me something..."
I am in the wrong century? Why? Of course! Surely! I had forgotten that we are already in second millenium. Excuse me, pls!
© Mel Byrne, 2oo1
Das Haus im Magischen Zirkel
"Also ich bin gern Bulle. Der Job ist zwar hart und vorallem in meinem Bezirk muss man aufpassen, dass die Gangstas, also die jungen Drogensüchtigen, einen nicht über den Haufen schießen, aber ich sag‘ immer: Junge! Wer zuerst schießt, mahlt zuerst und lebt auch länger. Aber ich tue meinen Dienst mit Leidenschaft und fürs Gesetz. Also passe ich auf, dass das Gesetz auch befolgt wird.
Komm Kriegrich, starte durch! Lass‘ uns mal ein bisschen im Kyfferweg aufräumen! Heut‘ ist Haus Nummer dreiundachtzig dran! Gib Gas!"
Kriegrich am Steuer dreht den Schlüssel und tritt aufs Gas. Sofort macht der Streifenwagen einen Satz nach vorn und prescht, kreischend und quietschend die Straße rauf.
Währenddessen ist im Kyfferweg 83 ein Sit- und Dope-Inn. Lutz, Hacke, Lilli, Döpke und Stonie paffen und palavern. Hacke zieht durch und bläst mit bleichen Backen den Rauch aus sich heraus. Der ganze Raum duftet orientalisch. Hacke schiebt die Blubberpfeife von sich und sagt in die Runde:
"Stell‘ euch vor: so einen magischen Circle ums Haus und alle, die in den Kreis treten werden überglücklich."
Als plötzlich die unverschlossene Tür eingerammt wird und Kriegrich und Keulen-Kalle in der Tür stehen. "Ha Ha!", triumphiert Keulen-Kalle, "haben wir euch erwischt!?"
"Die spritzen bestimmt Drogen, Chef!", erfaßt Kriegrich den Ernst der Lage, "Bestimmt Haschisch und so’n Zeugs."
"Schuhe aus!", erbost sich Stonie den Polizeibeamten gegenüber, woraufhin die Beamten brav dieser Anweisung Folge leisten. Zuerst zieht Kriegrich die Stiefel seines Vorgesetzten aus. Der Dampf gährender Socken vermischt sich mit Ciro-Ciro-Rauch. Ein penetrant-perverser Geduft entsteht.
"Dürfen wir den Grund Ihres unangemeldeten Besuches erfahren?", erkundigt sich stinkenfreundlich Döpke mit spitzer Zunge.
"Wir sind hier, weil wir glücklich sind!", ergreift Knüppel-Kalle das Wort. Währenddessen fummelt Kriegrich an dem Schnürband seines Stiefels..
"Wenn dir jemand eine Schleife beigebracht hätte, müßtest du deine Schuhe nicht zuknoten, ha ha ha!", freut sich Knüppel-Kalle, der permanente Stiefel-mit-Reissverschluss-Träger. Doch Kriegrich weiss zu kontern. Zwar unterbewußt, aber dennoch bewußt:
"Knoten wurden mir auf der Polizeischule gelehrt und Schleifen gehörten nicht zur Prüfung."
"Männnner!", stöhnt Lilli abwertend.
"Was heißt das: ihr seid glücklich?!", will Lutz wissen.
"Wenn ich euch da so sitzen sehe, erinnert mich das an meine Jugend...", erzählt Knüppel-Kalle und lehnt sich auf dem gemütlichen Küchenstuhl zurück, "...damals war ich bei den Pfadfinders. Wir ham damals auch in der Runde gesessen und gealbert, wir hatten nur nich‘ so lange Haares. Ach, was waren das für Zeiten!"
- Das Pfadfinderlied der Scherben folgt: "Ach, was waren das für Zeiten...na, na, na, na, na, na, na. Einmal täglich..." –
"Ich bin sooo glücklich, Aldär, du glaubst es gar nicht!", fröhnt Kriegrich und klopft sich vor Glück auf die Schenkel, "Wenn ich vor Spritzen nicht so einen Bammel hätte, würde ich mir ja auch mal gern Hasch spritzen wollen." Woraufhin alle gröhlend, ja gar dröhnend und ächzend zu Lachen beginnen.
"Siehste, wie fröhlich die Haschbrüder sind. Woll’n wa einen Perzen, Schwesta? Wie ist’n das mit Hasch und freier Liebe, Schwesta? Lust auf Höggeln?", geilt Knüppel-Kalle Lilli an. Doch Lilli reagiert gelassen und ungehalten, wie immer:
"Geh‘ zu die Pfadfinders Löcher stopfen! Geile Sau!"
"Wir ziehen uns mal Einen durch, dann sieht alles ganz anders aus.", philosophiert Kriegrich und packt einen zweipfundschweren Stein auf den Tisch und meint: "Wenn das so ist, Chef, dass Hasch geraucht und nicht gespritzt wird, dann tun wa uns doch was vom Dope verbacken, was wir letztens eingekascht ham!"
"Das heißt nicht gekascht, Junge, das heißt gehascht!", belehrt ihn der Vorgesetzte.
"Komm! Ich bau‘ Einen!", droht Hacke und wirft das Kilo Hasch in eine Auflaufform, die er dann in den dreihundert Grad heißen Ofen schiebt.
"Alles!?!", schreit Kriegrich glotzend.
"Menno!", muckiert sich der Chef, "Laß ihn doch! Wir ham doch genug davon."
- Es folgt der Auflauf-Song ("Hurra, es gibt Haschauflauf...")
Die beiden glücklichen Bullen, die auf einer "glücklichen Wiese" weideten, sind jetzt so breit, dass sie längs ins Auto geschoben werden mußten.
"Die nächste Razzia ist in Haus Nummer vierundachtzig. Gib Gas, Ker‘!", ordert Knüppel-Kalle. Und die beiden glücklichen Polizisten düsen den Kyfferweg hinauf.
© Freya Beyer, 1986
Eigentlich bin ich ja ein wohlerzogener Mann. Ich bin verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder , bin – wie sich das gehört – geschieden, verdiene sehr gut und lebe mit meiner zweiten Frau und unseren Kindern, einem 12jährigen Jungen aus ihrer ersten Ehe und einem gemeinsamen vierjahrigen Jungen aus zweiter Ehe zusammen. Und doch erwische ich mich in letzter Zeit oft versunken in den Erinnerungen meiner Studentenjahre.
Es war während der Examensvorbereitungen, als ich meine rebellischen Jahre als vollzogen glaubte und ich mich zu reformieren begann, im Bewußtsein dem Ernst des Lebens gegenüberzustehen. Mir wurde bewußt, dass ich gar kein Nachtmensch mehr war. Die Nächte in Diskos, Bars und auf leeren Straßen waren zu Nächten im Bett oder allerhöchstens hinterm Schreibtisch geworden. Tagsüber lebte ich nun mein Leben und es machte mir Spaß.
Mein Tag begann in der Regel spätestens um 9 und endete kurz vor oder lang vor Mitternacht. In der Regel! Doch an diesem Tag bestätigte eine Ausnahme diese Regel. Aber der Reihe nach:
Fangen wir heute um sieben Uhr an. Es ist ein jobfreier Donnerstagmorgen (nur am Rande sei erwähnt, dass ich mir mein Medizin-Studium nur mit lukrativen Nebenjobs finanzieren konnte) und draußen gießt es in Strömen. Der August neigt sich dem Ende und alles in allem hat der Sommer wettermäßig nicht meinen Erwartungen entsprochen. Ich stehe also auf, nutze die frühe Gunst der Stunde, um den Drucker meines abwesenden Mitbewohners zu benutzen, um einen Lebenslauf und eine Bewerbung für einen Assistentenjob in der medizinischen Fakultät anzufertigen. Dabei habe ich eine knappe Stunde in das verdammte Layout gesteckt und dachte mir: "Na, wenn dieser Erfolg nicht ein Anlaß für einen guten Kaffee und eine ebenso gute Tüte ist?"
Das war er. Ohne Frage. Ich wußte, ich werde am späten Vormittag nach Bochum fahren, um in der medizinischen Fakultät der Ruhr-Uni meine Bewerbung für die zu besetzende Tutorstelle persönlich abgeben. Jedoch, wenn ich zeichne (die anatomischen Zeichnungen für meine Examensarbeit erstellte ich immer per Hand, bevor ich sie am PC weiterbearbeitete) vergeht die Zeit wie im Flug und nach ein paar Pinselstrichen war es auch schon halb elf. Zeit zu gehen.
"Nehme ich das Gras mit oder lasse ich es hier?", eigentlich stellte ich mir diese Frage gewöhnlich nie, da ich in der Regel tagsüber nicht rauche. Aber wenn ich sie mir schonmal stellte, dann erlaubte ich mir in diesem Fall auch mal vom Dogma abweichen zu dürfen.
So wie heute. Und los geht die übliche Routine. Stradabahn. Zug. U-Bahn. Campus überqueren. Mensaessen. Medizinische Fakultät. Bewerbungsunterlagen einreichen. Erfahren, dass die Stelle schon wohl so gut wie besetzt sei. "Mal-sehen-was-man-da-machen-kann"-Getue. Caféte. Automatencappucino. Stencil rollen. Draussen vor der Tür paffen. Dann in die Bibliothek. Literatur über CD-RoM suchen. Freundliche Hilfe von Ina bekommend (die ein Jahr darauf meine erste Frau wurde). Verabreden für nächsten Montag. Notizen machen. Rausgehen. Cappucino. Stencil. Reingehen. Notizen machen. Kommilitonen treffen. Und plötzlich ist es fünf Uhr am Nachmittag.
Ich gehe durch die geisteswissenschaftlichen Katakomben mit dem weiten Blick durch riesige Fensterfronten auf das Ruhrtal und der verregnete Tag verwandelt sich zu einem sommersonnigen Abklang. Es sieht ganz so aus, als würden die letzten vier Stunden des Tages noch warm und gemütlich werden. Und diese Hoffnung macht mich plötzlich und unvermittelt völlig geil.
An diesem Tag besaß ich noch knapp hundert Mark und wüßte damit ein paar Tage über die Runden zu kommen. Der Monatsanfang war ja schon in Sichtweite. Dem stand nur noch ein letztes Wochenende bevor. Allerdings sollte etwas dazwischen kommen:
Meine schier unersättliche Geilheit, hervorgerufen durch Sonnenstrahlen, die sich durch die grauen Wolken des Alltags an diesem Donnerstag erfolgreich durchgekämpft und sie am Abend dann vertrieben hatten. Ich stehe bereits am Bochumer Hauptbahnhof. In fünf Minuten würde ich meinen Zug nehmen. Zeit genug, um ein paar Züge aus einem schnellgedrehten Stencil zu nehmen. Doch wo ist mein Gras abgeblieben?
"Fuck!", zischt mir leise über die fest verschlossenen Lippen. Ich kann es nicht finden. Dunkle Schatten schwärzen meine Absichten. "Es kann, wenn ich Glück habe, auf oder an dem Platz noch liegen, wo ich zuletzt gesessen und geraucht hatte.", denke ich und entschließe mich spontan, dahin zurückzukehren.
Das Gras befand sich in einem leeren Tabakbeutel und es kann mir auch aus der Tasche in der U-Bahn gefallen sein. "Dann gute Nacht Onkel Otto!", würde meine Frau heute zu sagen pflegen, wenn sie denn damals mit mir auf Gras gewesen wäre. "Was tun?", diese mir selbst gestellte Frage hatte sich just von selbst geklärt, denn ich sitze bereits wieder in der U-Bahn Richtung Uni-Campus. Gedankenbeladen. Mit Zweifeln und Hoffnungen beseelt. Wachsamen Auges rollt die U-35 mit meinen hyperwachsamen Auge in die Station "Ruhr-Universität" ein. Ich interessiere mich plötzlich brennend für herumliegenden Abfall. Spähe insbesondere nach Tabakbeuteln. Und da, oben auf der Plattform, just vor diesem Papierkorb liegt ein leeres Päckchen – a wa: es ist sogar Bantam! – Ich hebe es auf: leer. "Das war er!", da bin ich mir plötzlich sicher; "Irgend so ein Scheiß-Kommilitone, wahrscheinlich auch noch ein Kiffer, der freut sich jetzt!" Oder das Päckchen ward vor wenigen Minuten erst Opfer einer Guten Tat eines engagierten christlichen Studenten: den Inhalt weggekippt, statt weggekifft. Ende.
Hoffnung gleich zwei Meter tief, einen Meter breit und zweieinhalb Meter lang begraben, suche ich trotzdem noch nach einem Lebenszeichen meiner Mary Green. Und da!
Was liegt da auf dem Boden? Ein Päckchen namens "Fair Play". Ist bestimmt leer. Ich hätte es mir wohl damals nie verziehen, wenn ich mich nicht danach gebückt hätte. Denn drinnen ist feinstes Marihuana. Mein Marihuana.
Der Tag ist gerettet und die dunklen Wolken der Depression haben sich im Nu verzogen. Jetzt konnte ich getrost in meinen Heimatort fahren, um Kornelia, meine damalige Ex zu vögeln. Sie mochte mich eigentlich gar nicht mehr. Und ich sie eigentlich auch nicht. Das einzige, was sie an mir noch mochte, war mein Schwanz gewesen. Und deshalb rief sie mich völlig unregelmäßig an – Sie müssen wissen, dass die kurze Ehe zwischen ihr und mir, aus der zwei Mädchen hervorgegangen waren, schon einige Jahre her ist – und erkundigte sich dann telefonisch nicht nach meinem Wohlergehen, sondern direkt nach meinem "Schwänzchen", wie sie es ausdrückte. Wenn es uns beiden denn genehm war, pflegten wir für ein paar Tage oder gar Wochen eine sexuell orientierte Affäre, unterhielten uns ein wenig, aber gingen alsdann unserer Wege. Aus zwei dieser Affären gingen dann unsere Kinder hervor, die mich zweimal im Monat für ein Wochenende besuchen dürfen. Und ansonsten bei meinen ehemaligen Schwiegereltern ein geordnetes Leben führen. Was die Affären mit Kornelia angingen, so konnten auch schonmal Jahre ohne ein Lebenszeichen von meiner Exfrau zu bekommen vergehen. Kornelia gehört zu den Frauen, die bis heute nicht lange an einem Ort leben können. Mal war sie in irgendeiner Stadt im Inland. Mal in irgendeinem Nest im Ausland. Und gelegentlich bezog sie ein Appartement in Dortmund. Und wenn ihr danach war, rief sie mich an, wobei sie regelmäßig Momente erwischte, an denen ich solo war und auf sie spontan ansprang. Während solcher Perioden erlaubten wir es uns auch gegenseitig uns ohne Vorankündigung zu besuchen. Entweder wir erwischten uns und vögelten gierig und heftig oder aber wir erwischten uns nicht. So fahre ich also zu ihrem Appartement tief im Süden meiner Stadt und wer war nicht da?
"Auch gut.", denke ich mir mit meinem riesigen Ständer in der Hose und der vorbereiteten Vorstellung im Kopf wieder mit allen Endgliedern in ihrem Arschloch sein zu dürfen. Vonwegen. "Was!? Was?! Was!?! Walhalla!!!" Ich war schon lange nicht mehr in dieser rockigen Studentenkneipe, die damals mitten in der City lag. Also warum nicht auf in diese Bar?
Doch dort hätte es bei einem Bier bleiben sollen. Ich treffe jedoch noch dort diesen und jenen bis die letzte Bahn fährt. Ich darf nicht allein nachts durch diese gottverdammte Gegend, die ich kenne, wie meine Wespentasche – von der ich ja auch oftmals gar nicht weiß, was sich drin verbirgt – und bin sicherheitshalber abgebogen. Denn ich war geil!
Keine Kornelia, kein Glück im Walhalla, weil nur Pärchen und männliche Singles dort rumliefen und kein Bock auf Tour zu gehen und diesen langen Weg des Kennenlernens im Balzgang zu vollführen (ich lerne nur Frauen dann in Diskos kennen, wenn ich rumrocke wie ein triebiger Stier, doch darauf hatte ich keine Lust). Im übrigen hatte ich bereits am Ende des Studiums das Interesse an One-Night-Stands verloren. Hatte allerdings auch kein Interesse nach einer Beziehung zu suchen, denn die hatte ich nach anderthalb Jahren erst kürzlich aufgegeben mit einer Kommilitonin, die ich in der Bibliothek direkt nach meinem Asientrip kennengelernt hatte. Übrigens sind Bibliotheken sowieso die am bestgeeignetesten Orte für Begegnungen zwischen den Geschlechtern.
Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Kennenlernen. Ich saß an einen der Rechercherechner in der dunklen Bibliothek mit Sonnenbrille auf der Nase. Aber nicht, wie Sie vielleicht glauben, um cool an diesem heissen Oktobertag zu wirken. Nein, sondern nur, um überhaupt etwas zu sehen. Denn meine Klarsichtbrille wurde beim Optiker für ein paar Tage in einem Säurebad geschliffen, da sie in Indien eine Menge Schleifspuren erhalten hatte (warum ich in Indien eigentlich mehr die Klarsichtbrille als die Sonnenbrille getragen habe, bleibt mir bis heute ein ungelöstes Rätsel). Jedenfalls musste ich damals auf die hübsche Studentin gegenüber mit dieser Sonnenbrille und meiner asiengebräunten Haut irgendwie sexy gewirkt haben. Denn sie ließ es nicht bleiben, zu mir rüberzulächeln. Allerdings konnte sie bei mir keinerlei Gesichtsregung feststellen, da ich sie nur aus den Augenwinkeln heraus beobachtete und ich nur eins im Kopf hatte: ein wichtiges Buch meines Professors, der meine mündliche Physikumsprüfung in vier Tagen abnehmen würde. Ein hochbegehrtes Buch, dessen Literaturhinweis ich erst vor einer knappen Viertelstunde erhalten hatte. Und dieses Buch könnte nur allzuschnell vergriffen sein. Die schnellste Methode jedoch, um an ein heiß-begehrtes Buch zu kommen war die über den Rechner. Doch sie ließ nicht locker. Fühlte sich offenbar provoziert, dass ich nicht reagierte. Und so fing sie plötzlich zu fluchen an. "Was soll ich denn jetzt eingeben?", murmelte sie laut genug, um den Pullunder-Maschbaustudenten neben ihr erröten zu lassen, mit einem berliner Akzent sondergleichen. Meine Konzentration war mit einem Male dahin und ich mußte automatisch meinen Blick vom Monitor nehmen, um ihr doch ins Gesicht zu sehen. Zirka 20 Minuten später hatten wir zwischen den Regalen geknutscht und waren ab diesen Tag für anderthalb Jahre ein festes Gespann. Bis sie mir vor kurzem unterstellte, ich würde eine intime Beziehung zu einer ausländischen Gastprofessorin pflegen. Was überhaupt nicht stimmte. Und trotzdem setzte sie alles daran, dieses Gerücht an der Uni zu verbreiten. Damit der Trubel gar nicht erst ins Rollen kam, beendete ich diese Beziehung. Es war ja auch nicht ihr erster Anfall von unbegründeter Eifersucht gewesen, der mich zu diesem endgültigen Schritt bewog. Erinnert sei nur an diesen unglaublichen Auftritt bei unserem Lieblingschinesen direkt zu meinem Geburtstag.
Doch zurück zum besagten Tag, der mittlerweile schon zur Nacht wurde und seicht in den neuen Tag überging. Das letzte Bier war getrunken und der neue Tag verdaute bereits seine erste Stunde mit einem leisen Rülpser. Ich verlasse die Bar und gehe also zu Fuß durch die City und immer noch in Gedanken, den Tag mit einem guten und unkomplizierten Fick beenden zu wollen. Mittlerweile durfte dieser ruhig schon etwas kosten dürfen. Das war mir die Sache in meinem halbtrunkenen Zustand bereits wert. Ich schlage einen Umweg durch den Sperrbezirk der Stadt ein und in der Hoffnung, da möge keine sein die eine wäre, schleiche ich mich durch die Straße wo sie stehen und warten auf die, die einen stehen haben. Sie hakt sich bei mir unter und will mit mir nach Hause. Sie sagt, ich wäre ihr Freund und nickte lächelnd einem im Schritttempo fahrenden Streifenwagen entgegen. Dass es so einfach werden würde hätte mich misstrauisch werden lassen sollen. Und wieso hatte ich eigentlich keine Kondome mehr im Haus? Lag es vielleicht an dem Kondomautomaten unten in meiner Straße?
Auf dem gemeinsamen Weg wird sie immer pikanter mit ihren Darstellungen eines gelungenen Geschlechtsaktes und wie sehr sie sich darauf freuen würde, endlich mein Glied sehen zu dürfen. Allerdings sollte ich Verständnis dafür haben, dass sie einen kleinen Obolus dafür verlangen würde. Damit hatte ich ja eh schon gerechnet.
Als wir in meinem Zimmer waren und ich ihren langen Trenchcoatmantel abgenommen und an die Garderobe gehängt hatte, fällt sie sofort über meine Jeans her. Öffnet die Knöpfe meiner Hose und fingert meinen geschwollenen Penis hervor.
"Ach!", ruft sie, als sie mich bereits komplett aus meinen Klamotten gepellt und ihren Obolus schon a priori abkassiert hatte, "Jetzt hätte ich doch im Eifer des Gefechts ganz vergessen unten eben Kondome zu ziehen."
Das war das letzte was ich seit dem je wieder von ihr gehört habe. Was blieb war die schwindende Hoffnung, dass sie zurückkäme, ihr Trenchcoat an der Garderobe und ein Loch in der Kasse in Höhe von 50 D-Mark. Heute, wo es schon lange keine D-Mark mehr gibt, kann ich über diesen Verlust nur noch müde lächeln und mich an die "Was-wäre-wenn-sie-zurückgekommen-wäre"-Theorie in Momenten des Alleinheimspiels erfreuen.
©2oo0,